Polen: Verschärfung Abtreibungsrecht befürchtet

Ein guter Text vom Deutschlandfunk fasst die hochproblematische Situation in Polen zusammen:

„Die Situation ist tatsächlich sehr ernst. Es ist fast sicher, dass unser Abtreibungsgesetz verschärft wird, obwohl wir ohnehin eines der schärfsten Abtreibungsgesetze in Europa haben. Frauen werden der Gefahr ausgesetzt, ihr Leben zu verlieren, wenn es durch die Schwangerschaft bedroht ist. Das ist schwer vorstellbar, aber traurige Wirklichkeit.“

Die Abtreibungsgegner wollen alle drei Ausnahmefälle abschaffen, bei denen ein Schwangerschaftsabbruch heute noch möglich ist: nach einer Vergewaltigung, wenn das Kind schwer behindert sein wird oder wenn die Gesundheit der Mutter in Gefahr ist. Die Ärzte sollen der Mutter zwar medizinisch helfen, aber nicht vorsätzlich die Schwangerschaft abbrechen dürfen.

In ihrer Propaganda benutzen die AbtreibungsgegnerInnen auch behinderte Kinder:

Ein schockierendes Video vom März zeigt, dass das Kind, das schwer behindert zur Welt gekommen wäre, nach der Abtreibung noch lebte. „Das unschuldige Kleine weinte eine Stunde, bis es endlich starb“, schrieb ein katholischer Publizist.

Das ist, wenn es denn stimmt, ein Skandal, mit dem man aber ganz anders umgehemn könnte und müsste, als die Abtreibungsgesetze zu verschärfen.

Polen: Interview zu Abtreibung und Rechtsregierung

Interview mit Weronika Grzebalska in der Jungle World

Die Möglichkeiten einer legalen Abtreibung in Polen – im Rahmen des von Ihnen angesprochenen »Abtreibungskompromisses« – sind sehr gering. Können Sie diese genauer beschreiben?

Eine legale Abtreibung ist seit 1993 nur dann möglich, wenn die Schwangerschaft aus einer Vergewaltigung oder einem Inzest hervorging, der Fötus schwerkrank oder die Gesundheit der Schwangeren gefährdet ist. In Wirklichkeit ist der Zugang zu einer Abtreibung selbst unter den genannten drei Bedingungen weitestgehend versperrt. Beispielsweise wurde der schwangeren 25jährigen Agata Lamczak 2004 von einem Arzt die Behandlung eines Darmgeschwürs verweigert, weil das dem Fötus hätte schaden können. Lamczak starb wenig später. Zu dieser Zeit hatten zwischen 25 und 33 Prozent aller polnischen Frauen in ihrem Leben bereits einmal abgetrieben. Der überwiegende Teil von ihnen, so Schätzungen der NGO »Federation for Women and Family Planning«, tat dies illegal und klandestin. Betrachtet man zudem das Fehlen sexueller Bildung in den Schulen und den beschränkten Zugang zu Verhütungsmitteln, bekommt man ein düsteres, aber realistisches Bild der Reproduktionsrechte in Polen. Keine bisherige Regierung zeigte Interesse daran, diese Missstände zu beheben.

In vielen polnischen Städten fanden feministische Proteste gegen das geplante Abtreibungsverbot statt. Wer organisiert sie und was sind die zentralen Ziele?

Die ersten Demonstrationen am 3. April wurden von der linken Partei Razem organisiert und versammelten etwa 7 000 Menschen in Warschau und Hunderte in anderen Städten. Die nächste Welle an Protesten wurde von der feministischen Organisation »Po­rozumienie Odzyskać Wybór« organisiert und forderte offenen Zugang zu legalen Schwangerschaftsabbrüchen. Darüber hinaus sprachen sich einige große Oppositionsgruppen gegen das geplante Verbot aus, die liberale Partei Nowoczesna organisierte beispielsweise eine eigene Demonstration, die Bürgerbewegung KOD unterstützt die Proteste und eine linke Initiative sammelt Unterschriften für eine Liberalisierung der Abtreibungsgesetze. Für mich liegt die größte Hoffnung auf dem kaum bekannten informellen Netzwerk »Dziewuchy Dziewuchom« (Mädchen für Mädchen), das als kleine Facebook-Gruppe eines Freundeskreises begann und zu einem Netzwerk von über 100 000 Mitgliedern anwuchs, von denen einige zum ersten Mal politisch aktiv sind. Die Bewegung ist derzeit noch in einem Findungsprozess und es wird sich zeigen, ob die Forderungen über den Erhalt der derzeitigen Gesetze hinausgehen.

Irland und Polen: Time for Change!

Eine 21-jährige Nordirin wird wegen einer Abtreibung zu drei Monaten Haft auf Bewährung  verurteilt. Sie hatte sich aus dem Ausland die Abteuíbungspille bestellt und war von ihrem Mitbewohner angezeigt worden. Bis heute gelten in Nordirland noch immer dieselben Abtreibungsgesetze wie vor über 150 Jahren. Nach dem aus dem Jahr 1861 stammenden Gesetz ist eine Abtreibung eine schwere Straftat. Sowohl die Frau als auch der behandelnde Arzt könnten im Fall einer Abtreibung dem Gesetz zufolge mit einer lebenslangen Haft bestraft werden.Sieben von zehn Nordiren befürworten eine Reform des Abtreibungsgesetzes, so eine im Februar veröffentlichte Umfrage von Amnesty International. Ausführliche Hintergründe hier.
In Polen gingen am Wochenende Tausende gegen Versuche auf die Straße, das ohnehin sehr strenge Abtreibungsverbot weiter zu verschärfen. In allen Kirchengemeinden wurde ein Schreiben an die Gläubigen verlesen, in dem die Bischöfe ihre Unterstützung für eine Verschärfung der Abtreibungsregeln bekräftigten. Darin heißt es, dass es nicht bei dem 1993 gefundenen Kompromiss-Gesetz bleiben könne. Die Bischöfe fordern stattdessen ein ausnahmsloses Verbot der Abtreibung. Diese Forderung wird auch von der polnischen Ministerpräsidentin Beata Szydlo unterstützt, deren PiS-Partei seit dem Wahlsieg im Oktober 2015 mit absoluter Mehrheit regiert. Das in Polen geltende Abtreibungsrecht ist bereits sehr restriktiv und gehört zu den schärfsten in Europa. Es erlaubt Abtreibungen nur in drei Fällen: Bei einer Bedrohung für Leib und Leben der Mutter, einer festgestellten irreversiblen schweren Schädigung des Embryos sowie bei einer Schwangerschaft, die durch Vergewaltigung oder Inzest herbeigeführt wurde. Die geplanten verschärften Regeln lassen nur noch die Lebensgefahr für die Frau als Abtreibungsgrund gelten. Mehr

Berlin: Veranstaltung von und Soli für Ciocia Basia

Vor vier Jahren wurde das Wort „Gender“ in Polen ausschließlich in akademischen Kontexten diskutiert. Ein Jahr später wählten es Wissenschaftler_innen der Universität Warschau sowie der Polnische Sprachrat zum „Wort des Jahres 2013“. Grund für die rapide Karriere des Wortes ist die katholische Kirche, welche diesen Begriff strategisch im Zusammenhang mit Abtreibung, Pornografie und Pädophilie nutzt. „Gender“, oft gefolgt von „Ideologie“, wurde zum Symbol der sozialen Angst und Moral-Panik in Polen.
Die Referentin Anna Jagielska wird ausgewählte rhetorische Strategien präsentieren, die die katholische Kirche verwendet, um an den Diskussionen zu den Themen Geschlechtergleichheit, Verhütung, Abtreibung, In-vitro-Fertilisation sowie Sexualaufklärung teilzunehmen. Um die Spezifität der polnischen Genderdiskussionen besser zu erklären, wird sie auch den historischen Kontext darstellen und die Rolle der katholischen Kirche in der Beendigung des Kommunismus in Polen sowie die Charismatisierung des Papstes Johannes Paul II erläutern.
Es wird Solicocktails und KüFa geben. Alle Spenden unterstützen Ciocia Basia, eine aktivistische Gruppe, die Frauen aus Ländern wie Polen, wo Abtreibung illegal ist, bei der Abtreibung in Berlin unterstützt.

Referentin: Anna Jagielska ist eine Doktorandin an der Europa-Universität Viadrina (EUV). Sie schreibt eine Doktorarbeit „Diskursive Konstituierung der Weiblichkeit in vatikanischen Verlautbarungen (1930-2015)“.

Veranstaltung in englischer Sprache, auf Spendenbasis. Facebook-Event

Montag, 21. März um 20:00, New Yorck (Bethanien), Mariannenplatz 2a

Veranstaltungsort ist nicht barrierearm.

Pro-Choice-Drohne

Am vergangenen Wochenende haben Aktivistinnen eine Aktion gestartet, um auf das faktische Abtreibungsverbot in Polen aufmerksam zu machen: Eine Drohne, bestückt mit Abtreibungpillen wurde über die Oder gesteuert. Auf der anderen Seite nahmen zwei ungewollt schwangere Polinen die Tabletten ein.

Ein Interview mit Katharina Mahrt von der Berliner Gruppe »Ciocia Basia« in der aktuellen Jungle World.

In der taz von heute gibt es einen Bericht: „Abtreibungen sind in Polen verboten, Ausnahmen gibt es für Vergewaltigungsopfer oder bei Lebensgefahr. Die offizielle Zahl der Abtreibungen liegt bei 774 pro Jahr. Laut „Women on Waves“ werden jedoch jährlich zwischen 48.000 und 240.000 Eingriffe illegal vorgenommen.

Die Gruppe, die die Aktion maßgeblich organisiert hat, die niederländische Frauengesundheitorganisation Woman on Waves bezeichnete die Aktion in einer Presseerklärung als erfolgreich. Allerdings sei die deutsche Polizei gegen die Piloten der Drohne vorgegangen. Dort findet sich auch eine Zusammenstellung der bisherigen Berichte.