Redebeiträge

Redebeiträge 22.September 2012

Grußwort der Pro-Choice-Aktivist*innen aus Salzburg

Liebe Genossinnen und Genossen!

Als im Juli in Salzburg klerikalfaschistische Fundis einen 1000 Kreuze
Marsch veranstalten wollten, bekamen wir von euch sehr motivierende
Worte. Danke dafür! Auch wenn wir dieses Jahr nicht mit euch bei der
Demo in Berlin sein können, wollen wir euch zumindest durch dieses
Grußwort supporten.

Die Abtreibungsgegnerinnen und -gegner terrorisieren weltweit Frauen*
und versuchen einen antifeministischen Backlash voranzutreiben. Dies
macht es notwendig, dass auch wir uns vernetzen und solidarisieren.
Setzen wir gemeinsam und überall solchen frauenverachtenden Zumutungen
ein Ende! Wir kämpfen für das selbstverständliche Recht auf
Selbstbestimmung über den eigenen Körper und das eigene Leben! Wir
brauchen keine verlogenen Moralpredigten von selbsternannten
Lebensschützerinnen und Lebensschützern, sondern eine befreite
Gesellschaft!

In Salzburg wird es für die Fundis jedes Jahr ungemütlicher. Durch
autonome und kreative Aktionen wie Aufklärungsarbeit, zivilen
Ungehorsam, gleichgeschlechtliches Knutschen und Blockaden störten wir
ihren Marsch und kürzten ihn drastisch ab. Dieses Jahr schafften es
die Fundis nicht einmal in die Nähe ihres ersten Zwischenstopps.

Diese Erfolge blieben von der Staatsgewalt nicht unbeachtet. Leider
wurden dieses Jahr zwei Feministinnen festgenommen und mehrere
Pro-Choice-Aktivistinnen und -Aktivisten massiv von den Bullen
belästigt. Davon lassen wir uns nicht einschüchtern, sondern diese
Repression motiviert uns zu noch mehr Beharrlichkeit und
Kampfbereitschaft.

Wir wünschen euch viel Kraft und Erfolg in der Auseinandersetzung mit
diesen nervigen reaktionären Kuttenbrunzern(1)! Denn: ob Kinder oder
keine, entscheiden wir alleine!

Gegen jede Religion!
Für die Emanzipation!
Solidarische Grüße und Bussis aus Salzburg

(1) Brunzen, österr. für pissen.“

Grußwort von Gegenpäpstin Rosa I.

Liebe Jünger und Jüngerinnen, liebe Anhängende der Kirche der Vernunft,
ich, die Gegenpäpstin Rosa I., grüße euch! Leider kann ich heute nicht bei euch sein. Ich gehe jedoch davon aus, dass ihr auch in diesem Jahr einen gebührenden Empfang für die Freund_innen des falschen Papsts bereitet.
Nun ist es genau ein Jahr her, dass wir den bösen Benedikt aus der Stadt verjagdt haben und ihm die Nachtruhe gestört haben. Die Herrin lässt ihre Liebe ausrichten und versicherte mir ihre tiefe Dankbarkeit.
Auch heute müssen die Waffen der Kritik geschliffen, die Kondome geworfen und die Nachricht der Kirche der Vernunft verbreitet werden!
Ihr, die ihr heute hier auf die Straße geht, lebt die Ideale unserer Herrin.
Ich liebe euch, segne euch und verbleibe noch ein wenig im Urlaub.
Halleluja!

A statement from Feminist Fightback in London
The anti-abortion march today by Christian fundamentalists is another attempt to control women’s bodies and choices. But this isn’t just about one group of religious conservatives trying to inflict their beliefs on wider society. We can see a tendency across Europe where women’s reproduction is under attack. in England they have recently tried to reduce the abortion time limit. The UK Government are trying to instil mistrust in abortion providers. They are inviting ‘advice’ from anti-choice organisations and making it easier for them to provide services to women. Benefit cuts are targeting single mothers. Children’s centres are closing down. Childcare is ridiculously expensive and becoming more individualised and privatised. In Spain the Government wants to restrict abortion laws. In Greece public kindergartens are being closed and some women are forced to pay up to 1500 euros to have a baby in the public hospital. In Germany, the betreuungsgeld wants to award women for staying at home to look after their children instead of providing decent childcare for all. While we need to defend the rights that women have won with regards to having an abortion, this march should be seen as part of a wider attack on reproduction. The capitalist crisis as a convenient reason to further control women’s bodies and choices. This isn’t just about some crazy Christian fundamentalists. This is about state involvement in pushing an agenda that wants to inflict control on our bodies, discipline us, make us more ‚individually‘ responsible for our so-called free ‘choices.’ These choices aren’t free. In a divided and unequal society, people’s ‘choices’ depend on their income, their social support, their education, their position in society. If we really want to fight for free choice over our bodies and how and if and when we have babies, we need to fight for a society that enables us to really make free decisions. We need to build collective material conditions and power that actually make a choice possible. We shouldn’t just defend what abortion laws we currently have. We can fight for something better than that.

liebe grüße!

Die Anti-Abtreibungsproteste der christlichen Fundamentalist_innen heute sind ein weiterer Versuch, so genannte weibliche Körper und damit verbundene Entscheidungen zu kontrollieren.
Aber es geht heute nicht nur um eine Gruppe religiöser Konservativer, die versuchen ihrem Glauben eine breitere gesellschaftliche Bedeutung zu geben. Wir können Tendenzen überall in Europa beobachten, dass Reproduktion und Reproduktionsrechte – deren Regulierung v.a. Frauen/Trans* betrifft – versucht wird zu reorganisieren- In England gibt es bspw. aktuell Versuche, die zeitliche Einschränkung, bis zu welchem Monat eine Abtreibung möglich ist, einzuschränken. In der Regierung gibt es außerdem Versuche, Misstrauen und Unsicherheit bei Abtreibungsanbieter_innen zu sähen, in dem die Regierung es auch ausgesprochenen Abtreibungsgegner_innen ermöglichen, die so genannte Beratung durchzuführen. Kürzungen im sozialen Sicherungssystem betreffen v.a. alleinerziehende Mütter, öffentliche Einrichtungen werden geschlossen, Kinderbetreuung ist unglaublich teuer geworden, individualisiert und privatisiert.
Auch in Spanien versucht die Regierung Abtreibungsrechte einzuschränken. In Griechenland werden öffentliche Kindergärten geschlossen und Geburten, die von den Gebärenden selbst bezahlt werden müssen, kosten bis zu 1500€ in einem öffentlichen Krankenhaus. In Deutschland wird durch das Betreuungsgeld die Privatisierung von Kindererziehung voran getrieben und sexistische Arbeitsteilung “belohnt”.

Einerseits müssen wir die Rechte verteidigen, die in Bezug auf Abtreibung bereits erkämpft wurden, andererseits müssen wir diesen “Marsch für das Leben” als Teil eines breiter angelegten Angriffs auf Reproduktion und Reproduktionsrechte begreifen. Die Krise wird allzu oft als Begründung dafür herangezogen, die Kontrolle über so genannte weibliche Körper und damit verbundene Entscheidungen auszuweiten. Es geht also nicht nur um ein paar durchgeknallte Christen. Es geht auch um staatliche Politiken, die auf die Kontrolle von Körpern, Disziplinierung abzielen.

Außerdem geht es um die Individualisierung von Verantwortung. Dies geschieht auch, indem suggeriert wird, es gebe eine “Wahlfreiheit”. Aber die gibt es nicht; Entscheidungen sind nicht frei. In einer gespaltenen und auf Ungleicheit und Ungerechtigkeit basierenden Gesellschaft hängt die so genannte Wahlfreiheit ab von Einkommen, sozialer Unterstützung, Bildung, der gesellschaftlichen Position usw. Wenn wir wirklich eine freie Wahl und Entscheidungsmöglichkeiten haben wollen, über unsere Körper und darüber ob und wann wir Kinder haben wollen, müssen wir uns für eine Gesellschaft einsetzen, die uns wirklich freie Entscheidungen ermöglicht. Wir müssen kollektive, materielle Strukturen aufbauen, in denen wirkliche Entscheidungen möglich sind. Wir sollten also nicht nur die Abtreibungsrechte verteidigen, die wir aktuell schon haben. Wir können uns für mehr einsetzen.

Redebeitrag des Antifaschistischen Berliner Bündnisses gegen den Al Quds-Tag

Wir demonstrieren hier gegen den religiösen Fundamentalismus von christlichen Fanatiker_innen, die heute mit ihrem sogenannten “Marsch für das Leben“ durch die Mitte Berlins ziehen wollen.
Erst vor einem Monat demonstrierten wir in Berlin gegen einen Aufmarsch von islamistischen Fanatiker_innen. Anlass war der sogenannte Al Quds-Tag, dem Kampftag des klerikal-faschistischen iranischen Regimes, an dem es mit weltweiten antisemitischen Aufmärschen die Zerstörung Israels fordert.
Die Teilnehmer_innen dieses islamistischen Aufmarsches trugen aber nicht nur ihren Antisemitismus auf die Straße, sondern auch ihr frauen- und homosexuellen-verachtendes Weltbild zur Schau. Sie marschierten in tiefer Solidarität und Treue für ein menschenverachtendes Regime auf, dass die Verfolgung von Frauen und Homosexuellen, aber auch von religiösen Minderheiten und politischen Oppositionellen immer weiter verschärft.
In der Islamischen Republik Iran gilt Homosexualität, neben der Abkehr vom Glauben, als schwerstes zu begehendes Verbrechen. Schon allein das Küssen zwischen zwei Menschen des gleichen biologischen Geschlechts kann mit sechzig Peitschenhieben bestraft werden. Auf Geschlechtsverkehr droht die Todesstrafe, die durch öffentliches Hinrichten vollstreckt wird. Die Exekutions-Art obliegt dem Scharia-Richter. In der Vergangenheit wurden schon des Öfteren Menschen aufgrund dieser Richtlinien zum Tode verurteilt, weil sie lediglich diffamiert wurden.
Homosexualität ist offiziell ein Tabuthema, so behauptet Irans Präsident Mahmoud Ahmadinejad “es gebe keine Homosexuellen im Iran“. Es handelt sich nach Ansicht der Kleriker um “unislamisches Verhalten“, das der göttlichen Ordnung zuwiderläuft. Homosexuelle sind im Iran, aber auch in anderen Staaten der Region, jeden Tag mit dem Tod bedroht. Die Queer Community lebt unter ständiger Gefahr im Untergrund.
Diese Welle der Gewalt nimmt kontinuierlich zu – selbst Teenager sind der homophoben Verfolgung ausgesetzt. So versuchen immer mehr Homosexuelle aus dem Iran zu fliehen. Sie wollen ihr Leben retten, ihre Angehörigen schützen und ihre Sexualität frei ausleben dürfen. Einige dieser Menschen versuchen immer wieder ihr Glück in Deutschland, doch sie sind dort nicht erwünscht. Es ist gegenwärtig so gut wie unmöglich Asyl aufgrund von sexueller Verfolgung gewährt zubekommen.
Die Entscheidungen der deutschen Legislative, Exekutive und Judikative über Asylanträge von verfolgten iranischen Homosexuellen fielen in der jüngeren Vergangenheit nicht gerade positiv für die Betroffenen aus. Ein aktuelles Beispiel ist der Fall einer 24jährigen Iranerin, die nach Deutschland floh, nachdem sie auf einer schwul-lesbischen Party in Teheran war, die von der paramilitärischen Basidsch-Miliz gestürmt wurde. Bis heute ist nicht klar, was mit einigen der Gäste geschehen ist. Der Asylantrag der Iranerin, die Hals über Kopf nach Deutschland geflohenen ist, wurde abgelehnt. Schon im Vorfeld hat das zuständige Gericht in Bayreuth die Verfolgungsgeschichte der Iranerin angezweifelt. Der Richter, der ihren Antrag auf politisches Asyl ablehnte, gab nach der Entscheidung folgende Begründung ab: Wenn sie sich im Iran unauffällig verhielte, könne sie wie andere Homosexuelle wunderbar leben. Er könne ihren Freiheitsdrang verstehen, aber dies sei kein Asylgrund.
Politischen Asylbewerber_innen wird damit mitgeteilt, dass sie sich gefälligst an das jeweilige menschenverachtende System ihres Herkunftslandes anzupassen haben und im Untergrund leben sollen.
Es ist bezeichnend, dass Deutschland Iraner_innen aufgrund von Verfolgung das Recht auf Asyl abspricht, obwohl es genau Deutschland ist, dass dieses menschenverachtende Regime noch immer mit am Leben erhält und mit seiner Unterstützung für die Islamische Republik jegliche Bemühungen der iranischen Freiheitsbewegung nach einem Regime-Change im Keim erstickt. Es waren viele Menschen, die 2009 im Iran auf die Straße gingen und das Ende dieser Diktatur forderten. Das Regime wankte und es wankt heute auch noch immer.
Die Freiheitsbewegung ist vor drei Jahren gescheitert und sie würde zum gegenwärtigen Zeitpunkt wahrscheinlich wieder scheitern, weil der Klerikal-Faschismus von Ali Hosseini Khamenei, Mahmoud Ahmadinejad & Co von außen künstlich am Leben erhalten wird. Deutschland nimmt dabei eine besondere Rolle ein, indem es das Regime nicht nur massenhaft mit Waffen versorgt, sondern auch fast die gesamte Überwachungstechnik liefert, mit der im Iran Telefone abgehört, Computer ausgespäht und Wohnungen verwanzt werden. Die Zentrifugen, die im Iran für das militärische Atomwaffenprogramm benötigt werden, wurden [Überraschung!] auch aus Deutschland geliefert. Diese kontinuierliche deutsche Versorgung stärkt das iranische Regime und macht das Leben für einen großen Teil der iranischen Bevölkerung immer unerträglicher.
Die massive Zunahme von Repression merken gegenwärtig vor allem die Frauen im Iran. Sie sind seit der Islamischen Revolution systematisch sexueller Gewalt ausgeliefert. Vergewaltigungen sind nicht nur an der Tagesordnung, sondern haben auch des Öfteren noch ein Nachspiel für die Betroffenen. Das Wort eines Mannes zählt mehr als das einer Frau. Für iranische Frauen, die Opfer von sexueller Gewalt wurden, ist es oftmals fast unmöglich die Täter dafür zur Rechenschaft zu ziehen. Obwohl sie Opfer eines Verbrechens wurden, kann ihnen das als strafbare Handlung ausgelegt werden – das wird dann mit “vorehelichem“ oder “außerehelichem Geschlechtsverkehr“ begründet. Im schlimmsten Fall werden Frauen dafür, dass sie vergewaltigt wurden, zu Tode gesteinigt.
Wie noch mehr Vergewaltigungen offiziell legitimiert werden können, zeigt das aktuelle Vorgehen des Rechtsausschusses des iranischen Parlamentes. Dieser kündigte gerade erst an, das heiratsfähige Alter von Mädchen herabzusenken. Anstatt bisher mit 13, sollen Mädchen jetzt schon mit 9 Jahren zwangsverheiratet werden dürfen. Mädchen waren schon vorher ab 9 Jahren strafmündig, Jungen sind es erst ab 15. Frauen und Mädchen trifft die ganze Härte der zutiefst frauenfeindlichen Gesetze der Fundamentalisten. Ein weiteres Beispiel ist der Zwang zum Tragen des Tschadors. Auch diesbezüglich will das klerikal-faschistische Regime härter durchgreifen. Denn viele Frauen zeigen unter dem Tschador ihren Haaransatz, was den Klerikern ein Dorn im Auge ist.
Die Basidsch-Miliz soll dafür aufgestockt werden, um auf der Straße auf die korrekte Verschleierung zu achten und um gegen Frauen vorzugehen, die sich nicht daran halten.
Die Teheraner Polizei meldete beispielsweise, dass sie im Mai dieses Jahres über 80 kleine Lebensmittelläden geschlossen hat, da dort die islamische Kleidervorschrift für Frauen nicht sorgfältig befolgt worden sei.
Und das staatliche islamistische Vorgehen gegen Frauen im Iran geht noch weiter: Gerade erst wurden an den iranischen Universitäten 77 Studienfächer für Frauen gesperrt, diese dürfen sie nicht mehr studieren. Und es sollen in der kommenden Zeit noch weitere folgen. Selbst in den Studiengängen, die Frauen noch studieren dürfen, sollen die Plätze für sie massiv begrenzt werden.
Es gibt aber trotz der massiven Verfolgung auch Widerstand im Iran. Eine Initiative von iranischen Frauenrechtlerinnen hat im Internet schon 26.000 Unterstützer_innen gefunden. Ihr erklärtes Ziel ist das Ende des Schleierzwangs.
Ganz praktischen Widerstand leistete eine junge Iranerin vergangene Woche in der nordiranischen Stadt Shamirzad. Ein staatlicher “Sittenwächter” stoppte die Frau auf der Straße und forderte sie auf ihr Haar richtig zu bedecken. Statt aber den Tschador sittenkonform anzulegen, begann die Iranerin sich lautstark zu wehren und stieß den Kleriker zu Boden. Er durfte daraufhin die nächsten drei Tage im Krankenhaus verbringen.
Wir beglückwünschen diese junge Frau für ihren Mut und wünschen ihr, dass sie niemals von der Basidsch-Miliz aufgespürt wird.
Wir verurteilen jede Form von religiösem Fundamentalismus, egal ob die Ideologie dahinter (wie im Beitrag beschrieben) eine islamistische ist oder wie heute hier einen christlichen Background hat. Alle Menschen haben das Recht selbst über ihre Sexualität, über ihren Körper und über ihren Geist zu entscheiden. Wir bekämpfen den Versuch regressiver Kräfte, Menschen deren Recht auf ein selbstbestimmtes Leben abzusprechen.
Wir fordern:
=> Freiheit für alle in den iranischen Folter- und Todestrakten einsitzenden Gefangenen, die aufgrund ihres Geschlechts oder ihrer Sexualität inhaftiert wurden!
=> Religiösem Fundamentalismus entschlossen entgegentreten!
=> Nieder mit dem menschenverachtenden klerikal-faschistischen Regime! Nieder mit der Islamischen Republik! Jetzt und sofort!
=> Freiheit für die Menschen im Iran!

Positionspapier der Gruppe „Kritische Feministinnen“: Neue Reproduktionstechnologien – Selbstbestimmung – Selektion

Es geht uns in diesem Positionspapier nicht um ein Abarbeiten an konkreten Gesetzen oder darum, Forderungen nach Verboten aufzustellen. Vielmehr wollen wir den mit den reproduktiven Diagnoseverfahren verbundenen Machbarkeits-Diskurs angreifen und die „Normalität“ dieser Praxis in Frage stellen.Außerdem geht es uns darum, innerhalb von queer/feministischen Zusammenhängen eine kritische Debatte über Fragen zu Reproduktion und reproduktiven Technologien zu führen.

Selbstbestimmung – was bedeutet das?
Das Recht auf „Selbstbestimmung“ war eine der zentralen Forderungen der 2. Frauenbewegung. Mit Slogans wie „Mein Bauch gehört mir“ reklamierten die Frauen Anfang der 1970er Jahre, unabhängig von Eltern, (Ehe)männern und auch ohne Beeinflussung durch den Staat über ihren Körper und ihre Lebensführung selbst entscheiden zu wollen und zu können. Dies war ein wichtiger Schritt der Selbstermächtigung gegen das patriarchale System. Die Forderung, dass keine_r über den Köper und den Lebenswandel einer Frau entscheiden können soll, ist auch heute noch berechtig und wichtig.
Heute wird der Begriff jedoch häufig in einer individualistischen Engführung benutzt, die nur noch meint, dass jede Frau das Recht haben soll, das, was sie möchte auch zu bekommen. Selbstbestimmung wird individuell eingefordert, ohne die Frage nach der sozialen Bedingtheit der Wünsche zu stellen. Diese Individualisierung in Bezug auf Selbstbestimmung findet in einem historischen Moment statt, in dem die Verantwortung für soziale Absicherung immer weiter privatisiert und individualisiert wird. Jede_r einzelne wird dazu gedrängt, informierte Entscheidungen zu treffen, deren Konsequenzen nicht mehr gesellschaftlich verhandelt, geschweige denn abgefedert werden, sondern alleine getragen werden müssen.
Eine von grundlegender gesellschaftlicher Kritik an den schlechten Verhältnissen gelöste Forderung nach Selbstbestimmung ist individualistisch, unpolitisch, eurozentrisch, ahistorisch und bietet mannigfache Anschlusspunkte für neoliberale Diskurse.
Unter dem Label der freien Entscheidung und der persönlichen Autonomie wird das „gewählt“, was am besten zu passen scheint – oft nur die Weiterführung machtförmiger Verhältnisse im Privatleben. In einer auf Zwängen, Ungerechtigkeiten und Konkurrenz beruhenden Gesellschaft kann es jedoch keine wirklich freien Entscheidungen geben.
Unser Eindruck ist, dass auch bei Feministinnen der Selbstbestimmungsbegriff nicht immer gesellschaftskritisch sondern rein individualistisch benutzt wird und Fragen nach bevölkerungspolitischen Implikationen bestimmter Entscheidungen ignoriert werden. Das wird besonders deutlich bei der Positionierung zu PND/PID.

Behinderung und Selektion
Wir wenden uns gegen eine Definition von „Behinderung“ als „krank“ und als identitäres Merkmal der „Betroffenen“ in zwangsläufiger Verknüpfung mit „Leiden“. Die Annahme, dass dieses „Leiden“ verhindert werden könne und auch müsse, führt zu einem Selektions-Prozess und einer „Eugenik von unten“.
Wir kritisieren die weitverbreitete und normalisierte Anwendung von Pränataldiagnostik (PND), zu der auch Ultraschalluntersuchungen gehören, und die kürzlich erfolgte Legalisierung der Präimplantationsdiagnostik (PID). Mit Selbstbestimmung als emanzipatorischem Freiheitsbemühen haben Methoden wie PND/PID nichts zu tun.
Die Forderung nach individueller Entscheidungsfreiheit über Abtreibung dagegen richtet sich bewusst oder unbewusst gegen die herrschenden, patriarchalen Verhältnisse und gegen das immer noch geltende Frauenbild als Mutter und Fürsorgerin. Durch die Forderung, dass Frauen über ihre eigenen Körper ohne die Erlaubnis des Erzeugers oder des Staates entscheiden können sollen, wird gleichzeitig die Frau als autonomes selbstverantwortliches Subjekt postuliert. Die Forderung nach der Abschaffung des § 218 ist also emanzipatorisch und auf die Befreiung von Bevormundung gerichtet.
Die immer weitere Ausbreitung von PN- und PI-Diagnoseverfahren ist hingegen als Ausweitung der Möglichkeiten zur „Normalisierung“ und „Optimierung“ zukünftigen Nachwuchses zu sehen.
Ängste und Befürchtungen, die mit einer Schwangerschaft häufig verbunden sind, werden in einem technisierten Machbarkeitsdiskurs durch eine Fokussierung auf diese Diagnoseverfahren von gesellschaftlichen Bedingungen (Situation am Arbeitsplatz, Aufteilung der Sorgearbeit, unzureichende Versorgungssituation) weg- und zu möglichen individuellen Erschwernissen („mit einem behinderten Kind geht das ja gar nicht“) hingelenkt. Die Sorge um die Möglichkeiten der Entscheidung über die eigene Lebensführung mit Kind führt zu einem selektiven Prozess, in dem vormals gewünschte Kinder, denen ein erhöhter Pflegebedarf prognostiziert wird, im Zuge einer „Eugenik von unten“ aussortiert werden. Die gesellschaftlich herrschenden Normierungen und Zurichtungen werden von den Frauen vielleicht nicht ohne Zweifel, aber häufig kritik- und widerstandslos ausgeübt. Frauen sind in diesem Prozess keine Opfer sondern (Mit-)Täterinnen, die durch ihre individuelle Entscheidungen zur „Bevölkerungsoptimierung“ beitragen.

Gegen die Anti-Argumente der „Lebensschützer“

Die christlichen Fundamentalist_innen haben ihren „Marsch für das Leben“ am nächsten Samstag unter das Motto „Gegen Abtreibung und Euthanasie“ gestellt. Jede Abtreibung ist für sie Mord, Sterbehilfe und Abtreibung nach Pränataldiagnostik bezeichnen sie als „Euthanasie“. Da Gott allein über Leben und Tod bestimmen soll, fordern sie das ausnahmslose Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen und von reproduktiven Technologien. Jedes Kind muss in dieser Logik als „Gottesgeschenk“ angenommen werden. Die Frau als Subjekt jedoch kann die Entscheidung für oder gegen ein Kind nicht in die Hände welchen Gottes auch immer geben. Eigenverantwortliches Handeln bedeutet, unter den jetzt gegeben Umständen die Konsequenzen ihrer Entscheidung relativ alleine zu managen. Dazu gehört auch zu entscheiden, ob sie die Belastungen tragen kann, die die Diagnose „behindertes“ Kind in dieser behindertenfeindlichen Gesellschaft beinhaltet.
Abtreibungen als „Euthanasie“ zu bezeichnen, sie also gleichzusetzen mit der systematischen und massenhaften Ermordung als behindert und psychisch gestört diagnostizierter Menschen im Nationalsozialismus, ist eine Verharmlosung der NS-Verbrechen und ein strategischer Versuch, Frauen, die die Entscheidung zu einer Abtreibung getroffen haben, mit Naziverbrecher_innen gleichzusetzen.

Perspektiven
Wir wollen den fragwürdig gewordenen Begriff Selbstbestimmung nicht aufgeben, sondern ihn wieder politisch füllen und die Forderung nach möglichst freier Entscheidung jeder und jedes einzelnen mit einer Kritik an machtförmigen Begrenzungen verbinden. Ein gesellschaftlich gedachter Selbstbestimmungsbegriff soll dazu beitragen, gute Lebensbedingungen für alle zu ermöglichen.
Um die aufgeworfenen Probleme zu lösen, ist es notwendig, grundsätzlich die momentanen Verhältnisse in Frage zu stellen und sich Gedanken darüber zu machen, wie wir eigentlich zusammen leben wollen. Wir wollen über andere Formen von Familie und Verwandtschaft nachdenken als die der heterosexuellen Kleinfamilie. Kinderplanung soll keiner Bewertung unterliegen, wer wann wie am besten Kinder bekommen sollte. Die Dichotomie von „gesund“ und „krank“ muss aufgebrochen werden und Behinderung muss als soziales Modell verhandelt werden, so dass der Fokus auf den gesellschaftlich bedingten Beschränkungen liegt.
Wir alle sind auf Pflege und Fürsorge angewiesen. Die gesellschaftliche Organisation von Pflege muss wieder stärker Teil einer politischen Auseinandersetzung sein. Überhaupt brauchen wir eine Gesellschaft, die nicht auf Konkurrenz- und Leistungsdenken basiert.

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Rede ak MoB, 18.09.2010

Love Disability- Hate § 218!

Vor etwa einem Jahr hat der Bundestag eine Verschärfung des Schwangerschaftkonfliktgesetzes (SchKG) beschlossen. Das neue Gesetz bewirkt vor allem eins: eine zunehmende Individualisierung der Verantwortung zu Lasten von Frauen. Der Blick auf Behinderung und Krankheit bleibt dabei unverändert.

Die Neuregelung betrifft Abtreibungen nach der 12. Schwangerschaftswoche (SSW), die im Fall einer sogenannten medizinischen Indikation vorgenommen werden dürfen. Solche Abtreibungen waren auch schon vorher möglich und sind meist die Folge von pränataldiagnostischen Untersuchungen (PND) – nämlich dann, wenn deren Ergebnisse auf „Schädigungen“ des Fötus, also mögliche Behinderungen des Ungeborenen hinweisen.
Seit der Gesetzesänderung müssen Ärzt_innen nun, wie bei Abbrüchen vor der 12. SSW , der Schwangeren eine „ergebnisoffene“ Beratung anbieten. Diese können die Beratung ablehnen. Neu ist auch, dass (sofern keine unmittelbare Gefahr für das Leben der Schwangeren besteht) vor der Ausstellung einer sogenannten medizinischen Indikation, die dann die Abtreibung ermöglicht, eine Bedenkzeit von drei Tagen bis zum Abbruch eingehalten werden muss. Diese Bedenkzeit soll dazu dienen, dass Frauen sich umfassend informieren können und nicht in einem „Schockzustand“ eine Entscheidung treffen. Diese Gesetzesänderung wurde auch von Abtreibungsgegner_innen und christlichen Fundis gepusht, denen jede Verschärfung des Abtreibungsverbotes recht ist.

Solange Behinderung gesellschaftlich als zu vermeidender Zustand der Abhängigkeit und des Autonomieverlustes gilt, wird sich an der Praxis von Abtreibungen nichts ändern. Denn dass diese Vorstellung auch von schwangeren Frauen geteilt wird, wundert nicht. Es geht um „Leidvermeidung“ und Vermeidung von Behinderung, und um das Ideal eines allseits funktionierenden und leistungsfähigen Wunschkindes. Die Weiterentwicklungen in der Pränataldiagnostik und der Reproduktionsmedizin eröffnen dafür viele neue Möglichkeiten. Frauen werden immer mehr für die Gesundheit und Qualität ihres Nachwuchses zur Verantwortung gezogen und unter Druck gesetzt. Die staatliche Regulierung von Abtreibungen und Spätabtreibungen schränkt nicht nur die reproduktiven Rechte von Frauen ein, sondern wirkt auch stark individualisierend. Die Entscheidung für oder gegen einen Schwangerschaftsabbruch liegt bei den Frauen, denn ihnen wird die Verantwortung für Möglichkeiten und scheinbare „Notwendigkeiten“ der Selektion zugewiesen. Bestimmte Untersuchungen abzulehnen, wird zunehmend schwerer.

Wir kritisieren die Instrumentalisierung von Spätabtreibungen durch christliche Fundis wie selbst ernannte Lebensschützer_innen, deren Argumentation in erster Linie darauf zielt, die Rechte von Frauen einzuschränken und nicht darauf, dass Leben behinderter Menschen zu verbessern. Denn was nach der Geburt passiert, scheint sie weniger zu interessieren.
Wir lehnen die Unterscheidung in „gesunde“ und „geschädigte“ Körper ab. Forderungen uneingeschränkter reproduktiver und sexueller Rechte von Frauen müssen die Kritik an implizierten „eugenischen“ Mechanismen bei Schwangerschaftsabbrüchen nach PND mit einbeziehen!
Wir wollen nicht, dass Frauen zu Entscheidungen für oder gegen Abtreibungen gedrängt und hinterher für ein gesellschaftliches Problem (die Diskriminierung und gesellschaftliche Abwertung behinderter Menschen) zur Verantwortung gezogen werden. Wir wollen Informationen für schwangere Frauen über das Leben mit Behinderung, die die Sichtweise der davon Betroffenen mit einbeziehen. Wir wollen mehr finanzielle Hilfen für Eltern behinderter Kinder.
Wir wollen wir eine Gesellschaft, in der Behinderung nicht als zu vermeidendes „Problem“ gilt!

Für das Recht auf Abtreibung, Behinderung und Krankheit!

ak moB- Arbeitskreis mit_ohne Behinderung